Die teilnehmende Beobachterin

Die teilnehmende Beobachterin

Barbara Klemms Fotografien im Historischen Museum Frankfurt
Barbara Klemm | © wikimedia commons

Barbara Klemm inszeniert ihre Fotografien nicht. Sie sieht schon das Ereignis, zu dem sie eilt, als dramatisches Geschehen, dessen gestalterischen Höhepunkt sie spürt, bevor er eintritt. Dann aber ist sie zur Stelle und macht die Aufnahme, die spricht. Prächtige Panoramen, eindringliche Porträts, historische Dokumente sind so entstanden. Nun sind Klemms Frankfurt Bilder im Frankfurter Historischen Museum ausgestellt. Walter H. Krämer hat sie besucht.

Demonstration gegen Startbahn-West, 1981 | © Foto: Barbara Klemm, HMF

Barbara Klemm kam 1959 nach Frankfurt, lebt seither in dieser Stadt und wurde über 60 Jahre hinweg eine aufmerksame Zeitgenossin und fotografische Beobachterin der Stadt und der in ihr wohnenden und arbeitenden Menschen.

Jetzt präsentiert das Historische Museum erstmals mit 230 von der Fotografin selbst vergrößerten Barytabzüge (Barytpapier zählt unter den Fotoabzügen zu den absoluten Klassikern in Galeriequalität. Der Schwarz-Weiß-Abzug mit besonderer Papier-stärke hat eine glänzende Oberfläche, die durch die Baryt-Struktur einen seidigen Schimmer erhält) eine große Auswahl ihrer Blicke auf Frankfurt als „teilnehmende Beobachterin”.

Die Auswahl der Bilder zeigen Barbara Klemm als eine Bildjournalistin mit dem untrüglichen Sensorium für den richtigen Moment und das gute Bild. Sei es bei den Studentenprotesten an der Goethe-Universität, den Kampf um die Villen im Westend, Alfred Hitchcock am Hauptbahnhof, Helmut Kohl bei einer Wahlveranstaltung auf dem Römerberg oder die drei Väter mit Kinderwagen beim Verlassen des Palmengartens.

Ihr früher Erfolg als freie Fotografin (vor 1970) war eng mit Frankfurter Ereignissen verbunden – wie der Studentenbewegung und den Aufmärschen der NPD. Ihre Aufnahmen vom NPD-Bundestagswahlkampf im Juli 1969 machten sie europaweit bekannt: Das Bild der feisten, behelmten NPD-Ordner vor dem Cantate-Saal druckte der Lokalteil der FAZ am 28. Juli 1969, daraufhin brachten es Spiegel, Paris Match und Observer.

Und die Bilder wirkten: Sie trugen dazu bei, dass die Partei an der Fünfprozenthürde scheiterte. Vielleicht das einzige Bild von ihr, das sich direkt auf die politischen Zeitläufe auswirkte und, wie ihr der damalige Bundesminister des Auswärtigen und Stellvertreter des Bundeskanzlers Walter Scheel bescheinigte, mehr bewirkt habe als alles Reden der Politiker*innen.

Auf die Frage, was für sie ein gutes Bild ausmache, ist die klare Antwort: Es ist die Komposition. Und es brauche schnelles Reaktionsvermögen und Beweglichkeit. So beispielsweise, als sie schneller als die rennenden Demonstranten gegen den Vietnamkrieg in der Kaiserstraße sein musste, um die Demonstration im Gegenlicht mit Hauptbahnhof im Hintergrund auf Zelluloid zu bannen.

Auch bei den Protesten gegen die Startbahn West gelingen ihr ikonographische Bilder. So ein Foto von 1981, das sie vom Dach eines VW-Busses fotografieren konnte: Startbahn Gegner*innen und weiß-behelmte Ordnungshüter stehen sich nur durch einen Graben getrennt gegenüber. Man kann die Anspannung auf beiden Seiten förmlich spüren.

Neben der Komposition ist es das offene Interesse für Menschen, die empathische Haltung und das sichere Gespür für den Augenblick, das sie und ihre Bilder auszeichnet.

Sie fotografiert ausschließlich in Schwarz-Weiß, wobei sich die Perfektion der gelernten Fotografin und Laborantin von Anfang an mit ihrer Virtuosität in der Nutzung sämtlicher Grautöne zwischen dem reinen Weiß und dem tiefen Schwarz verband. Dass sie dabei weder Blitz noch Stativ verwendete, machte ihre Aufnahmen von Anfang an unterscheidbar: Nicht nur wegen der so viel höheren Qualität des natürlichen Lichts, sondern auch wegen der „Selbstverständlichkeit” der Szenen und Motive, die das Auge des Betrachters sofort erkennt.

Demonstration gegen den Vietnamkrieg, Kaiserstraße, 1970  | © Foto: Barbara Klemm, HMF

Die Ausstellung im Untergeschoss des Historischen Museums ist übersichtlich nach insgesamt 19 Themen – u.a. die Themen Studentenbewegung, Demonstrationen, Ankommen, Arbeit, Buchmesse, Leben auf der Straße, Jüdisches Leben, Musikmetropole und Menschen in Museen – gegliedert. Mittels Audioguide oder Smartphone sind bei ausgewählten Fotos die Erläuterungen der Fotografin selbst abrufbar.

Das Betrachten der Fotografien ist wie eine Zeitreise in das Frankfurt, wie es einmal war. Besonders deutlich wird das auf dem Bild – auch das Umschlagsbild für den ausgezeichneten Katalog zur Ausstellung – der freie Blick vom Römer aus auf den Frankfurter Dom – noch mit dem technischen Rathaus auf der linken Bildseite. Man sieht ein Foto und möchte immer mehr sehen.

Es sind allesamt Interessante und spannende Fotos. Voll mit Stimmungen, Geschichte und Geschichten, in die man beim Betrachten immer tiefer blicken und einsteigen sollte, um ja nichts zu übersehen.

Ihre Bilder tragen auch zum kulturellen Gedächtnis der Stadt bei. Persönlich konnte ich mich davon bei der Suche nach den Metalltafeln zu 15 Brecht-Inszenierungen in der Ära Harry Buckwitz überzeugen. Die Tafeln selbst nicht mehr auffindbar – allmählich kamen Zweifel bei mir und auch Befragten auf, ob es diese denn wirklich gegeben habe – da lieferte ein Foto von Barbara Klemm den Beweis. Diese Tafeln im Foyer von Schauspiel Frankfurt hat es gegeben.

Ein Rundgang durch diese Ausstellung ist allemal ein lohnender und gibt Raum für viele persönliche Eindrücke und Erinnerungen.

https://www.historisches-museum-frankfurt.de/

https://historisches-museum-frankfurt.de/barbara_klemm

Barbara Klemm – Frankfurt Bilder. Fotoausstellung im Historischen Museum Frankfurt am Main vom 9. November 2023 bis 1. April 2024

Römerberg, 1978 | © Foto: Barbara Klemm, HMF

Letzte Änderung: 13.11.2023  |  Erstellt am: 13.11.2023

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