Luftangriff auf Zuschauerraum

Luftangriff auf Zuschauerraum

Aida in Frankfurt
Guanqun Yu (Aida) | © Barbara Aumüller/Oper Frankfurt

Die von vielen Zuschauern erwarteten, musikalisch erfüllten, szenisch jedoch konterkarierten Wohlfühl-Stunden fielen aus. Sie endeten nach dem Fall des Schlussvorhangs der Premiere mit einer im Rollstuhl sitzenden, tatsächlich verletzten Aida, einigen lauten Buh-Rufen für die Regie sowie Riesenapplaus für die Musiker. Eine Produktion, die Andrea Richter ganz sicher nicht vergessen wird.

Wer einen entspannten Abend mit Verdi-Schönklang und bekannten Melodien genießen möchte, sollte nicht in diese Aida in der Frankfurter Oper gehen. Wer allerdings bereit ist, Oper als Kunstform zu betrachten, die sich kritisch mit Gesellschaft und Politik auseinandersetzt, für den ist diese Produktion ein Muss.

42 Jahre nach der Skandal-Inszenierung von Hans Neuenfels mit Aida als Putzfrau nun also endlich wieder eine Aida am Frankfurter Opernhaus. Diesmal inszeniert von einer Frau, Lydia Steier, und kein bisschen kompromissfreudiger. Ganz nah an der Partitur schaffen ihre Interpretation, das exzellente Orchester unter Erik Nielsen, der überwältigende Chor und die Solisten – besonders hervorzuheben sind Guanqun Yu (Aida), Andreas Bauer Kanabas (Ramfis) und Nicholas Brownlee (Amonasro) – Fallhöhen zwischen dem, was man sieht und dem, was man hört, die einem zeitweilig den Atem verschlagen.

Steier verlegt die ursprünglich in Ägypten angesiedelte Handlung in eine Art unterirdische Bunker-Halle. Dort arbeitet anfangs Radames als Handwerker am Bewässerungs- oder Abwassersystem (Nil oder Fäkalien?), während seine geliebte Aida in adretter rosa Uniform mit weißer Schürze putzt (Referenz an Neuenfels!). Dass sie eine „Fremde“ ist, erfährt man nicht nur durch Radames Gesang in „Celeste Aida“, sondern auch durch ihr so anderes Aussehen als das der bald erscheinenden, ebenfalls in ihn verliebten Herrschertochter Amneris: Denn im Gegensatz zur dunkelhaarigen Aida trägt Amneris eine wasserstoff-blonde Haartracht auf dem Kopf. Dieses Haar- und damit Herkunftsstereotyp der Frauen zieht sich durch die gesamte Produktion und charakterisiert die Freund-Feind- respektive Wir-Ihr-Vorstellungen in der Gesellschaft trefflich. Steier nutzt nämlich als Folie für die Handlung Bilder und Gesten aus der Nazi-Zeit, der wohl weltweit bekanntesten und mit Beispielcharakter ausgestatteten, kriegstreibenden Propaganda-Diktatur der Neuzeit, um ihr Anliegen sinnfällig zu vermitteln. Welches lautet: Wehret den Anfängen von menschenverachtendem Radikalismus.

Und sie tut dies durchaus radikal. So lässt sie eine Gesellschaft, krude Mischung aus alten Männern in Uniformen und Abendanzügen sowie wesentlich jüngeren, elegant gekleideten Frauen sich in Kriegshysterie hineinsteigern. Und alle machen mit. Auch die Frauen. Sehr mutig und historisch zutreffend, jedoch wenig thematisiert, widmet Steier ihren Geschlechtsgenossinnen eine ganze Szene, in der Amneris zynisch und brutal gegen die „fremden“ Frauen vorgeht, die den vermeintlich überlegenen Blonden dienen müssen und gleichzeitig Rivalinnen im Liebes-Kampf um die Männer sind. So wie alle zum Volk Gehörigen kann sich auch Radames der Propaganda nicht entziehen und lässt sich durch ein grandioses Karriereangebot als Anführer des Militärs im angestrebten Krieg gegen Aidas Volk verführen. Nur Einer, neben Aida, hegt von Anbeginn Zweifel an diesem Treiben: Ramfis. Sogar Stimmen aus dem Jenseits „Possente Fthá“ warnen ihn. Doch er findet keine Möglichkeit, den Wahnsinn zu stoppen, passt sich notgedrungen an. Auf die Propaganda folgt der Krieg. Und als der Vorhang nach dem 2. Akt fällt, werden die Zuschauer:innen vor der Pause einem minutenlangen, angsteinflößenden akustischen Luftangriff im stockdunklen Raum ausgesetzt. So schnell kann man selbst im Krieg landen, wenn man vorangehender Radikalisierung nicht radikal entgegentritt. Mit dem in der Ukraine und in Israel hat auch niemand gerechnet.

Anschließend feiert die Bunkergesellschaft den Sieg über die Feinde und ihren Held Radames. die den Triumphmarsch bestimmenden Verdi-Trompeten schmettern herrlich auf der Bühne, mit Elefantenmasken versehene Tänzerinnen sowie vorgeführte und erniedrigte Gefangene bieten den Anwesenden gute Unterhaltung. Unter ihnen Amonasro, ein blonder(!) Hüne und Vater von Aida, der selbst Kampf und Vergeltung im Kopf hat. Gewalt erzeugt eben Gegengewalt. Er wird in den Gewässern des Nils oder auch Abwässern jener Gesellschaft ertränkt.

Aus der einmal in Gang gesetzten Gewaltspirale gibt es kein Entrinnen. Selbst diejenigen, die wie Radames glauben, in hoher Position Völker und Menschen von den Idealen Frieden, Mitmenschlichkeit und Liebe überzeugen zu können, werden von der Realität eingeholt. Als Verräter gebrandmarkt stirbt er, gemeinsam mit seiner Liebe Aida eingemauert von der längst entblößten, aber immer noch tödlichen Ideologie. Genau wie Amneris, die ohne sie nicht weiterleben kann und sich neben Amonasro im Abwasser ersäuft. Ramfis, der Zweifler, zieht eine Pistole hervor. Selbstmord? Nein, mal wieder traut er sich nicht! Doch die Zukunft, in die er blickt, verspricht nichts Gutes, sie ist duster.

Wie nah all das doch an der aktuellen Weltrealität ist! Aufgewühlt zwischen „wie wahr“ und „das hat doch mit Verdis Oper nichts zu tun“ verließ das Publikum den Saal, diskutierte im Foyer weiter, und selbst 20 Minuten später standen noch Trauben vor dem Opernhaus. Musiktheater als Bühne für gesellschaftliche Auseinandersetzung. Das war es immer und wird es bleiben.

Claudia Mahnke (Amneris; in bodenlangem Mantel) und dahinter Guanqun Yu (Aida; mit Spiegel in den Händen) sowie Damenchor der Oper Frankfurt | © Foto: Barbara Aumüller/Oper Frankfurt

Letzte Änderung: 05.12.2023  |  Erstellt am: 05.12.2023

Guanqun Yu (Aida) und Stefano La Colla (Radamès) | © Foto: Barbara Aumüller/Oper Frankfurt

Aida
Opera lirica in vier Akten

Musik von Giuseppe Verdi 1813–1901
Text von Antonio Ghislanzoni nach Auguste Mariette, ausgearbeitet von Camille Du Locle und Giuseppe Verdi

Uraufführung 1871, Opernhaus, Kairo

Mitwirkende

Musikalische Leitung Erik Nielsen
Inszenierung Lydia Steier
Bühnenbild Katharina Schlipf
Kostüme Siegfried Zoller
Licht Joachim Klein
Chor Tilman Michael
Dramaturgie Mareike Wink

Aida Guanqun Yu
Radamès Stefano La Colla
Amneris Claudia Mahnke
Ramfis Andreas Bauer Kanabas
Amonasro Nicholas Brownlee
Der König von Ägypten Kihwan Sim
Ein Bote Kudaibergen Abildin
Eine Priesterin Monika Buczkowska

Chor der Oper Frankfurt
Frankfurter Opern- und Museumsorchester

Weitere Vorstellungen:
6., 8., 10., 17., 21., 26., 29. Dezember sowie 1., 13. und 20. Januar 2024
Beginn jeweils 19.00 Uhr

Oper Frankfurt

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Kommentare

Eldad Stobezki schreibt
Liebe Andrea, herzlichen Dank für die Ausführliche Kritik. Ich bin auf der Oper gespannt. Vor 42 Jahren war ich auch dabei. Beste Grüße Eldad
Konrad Elsässer schreibt
Sehr gute Kritik, trifft den Nagel auf den Kopf. Ich gratuliere! KE
Joachim Valentin schreibt
Ein echter Augenöffner diese Kritik! Danke!

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