Kongo, Kupfer und Kasala

Kongo, Kupfer und Kasala

Sammy Baloji lädt in die Kunsthalle Mainz ein
Kupferkreuz, vermutlich Katanga-Region, Ethnografische Studiensammlung, Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Inv.-Nr. JGU ES 3083 | © Isa Bickmann

Für den kongolesisch-belgischen Künstler Sammy Baloji (1978), Documenta-14-Teilnehmer und Mitgründer der Lubumbashi-Biennale, ist der „White Cube“ keine neutrale Zone ist, sondern eine politische. So ist der Besuch der von ihm und Lotte Arndt konzipierten Gruppenausstellung in der Kunsthalle Mainz eine Konfrontation mit den Kontinuitäten kolonialer Ausbeutung im Kongo, Leerstellen der Erinnerungskultur und Wegen der Transmission. Auf höchst gelungene Weise vernetzen sich die Exponate im Hause inhaltlich miteinander, findet Isa Bickmann.

Das Kupferkreuz stammt, so ist auf dem Schild zu lesen, aus Katanga, rohstoffreichste Region der DR Kongo. Es wurde um 1900 von einem unbekannten Handwerker geschaffen und fand, nachdem die Anthropologin Erika Sulzmann es 1979 auf einer Reise erworben hatte, 1990 Aufnahme in die Ethnografische Studiensammlung der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Kupferkreuze dienten seit dem 13. Jahrhundert als Zahlungsmittel. Der Rohstoff Kupfer ist die Substanz vorkolonialer, kolonialer und postkolonialer Realitäten. Erst im September 2023 hat ein Amnesty-Bericht beklagt, dass die kongolesische „Ausweitung industrieller Kobalt- und Kupfererzminen […] zu rechtswidrigen Zwangsräumungen, sexualisierter Gewalt, Brandstiftung und Misshandlung geführt“ hat. Sammy Balojis Film „Tales of the Copper Crosses Garden: Episode 1“, von 2017, der auf der documenta 14 in Athen seine Uraufführung hatte und die Bearbeitung von glühend heißem Kupfer in einer Fabrik in Katanga begleitet, wird das riesengroß aufgeblasene Foto des „Kupferkreuz-Chores“ zur Seite gestellt, eines Knabenchors, der von Missionaren gegründet wurde und der statt des christlichen Kreuzes auf seinen Gewändern das Katanga-Kreuz trug. Christliche Mission, Ausbeutung von Land, Natur und Mensch, der sog. Extraktivismus, und die Präsentation von Kulturgütern aus Afrika in westlichen Sammlungen verschränken sich in dieser Ausstellung zu einem multiperspektivischen Bild.

Sammy Baloji (geb. 1978 in Lubumbashi, DR Kongo) hat für diese Ausstellung zwölf Künstlerinnen und Künstler eingeladen, deren Werke – so unterschiedlich sie sind – sich ergänzen zu der tiefen Einsicht, dass koloniale Ausbeutung nicht nur in einem Kontinuum steckt, sondern auch langfristig kulturelle Praktiken der Kolonialisierten dem Vergessen anheimgestellt hat. Besonders gelungen ist in der Schau die künstlerische Umsetzung postkolonialer Problematiken. Im zweiten Stock des Turmes befindet sich eine Installation von Franck Moka, die erstmals 2022 auf der von Baloji mitbegründeten Biennale von Lubumbashi gezeigt worden ist: Die mit Sand versehene Oberfläche einer rüttelnden Platte ist betretbar. Unter ansteigendem surrendem Ton wird hier eindrücklich erfahrbar, wie es ist, nahe einem Bergwerk zu leben. Und wenn man sich zu diesen Erschütterungen dann noch die Luftverschmutzung dazu vorstellt, kommt das „Weit weg“ doch recht nah.

George Sengas Fotografien vom Lithiumtagebau für die Stromspeicherung in Batterien – wichtig für die Abkehr von fossilen Brennstoffen – belegt den Extraktivismus, der sich fortsetzte und nun mit dem weltweiten Bedarf noch forciert wird. Hadassa Ngamba bereitet aus Malachit, Kassiterit aus Katanga, Teer und Kohle auf mit Kaffee gefärbter Leinwand Kartografien der kolonialen Erinnerungen und Traumata.

Ein Part der Ausstellung beschäftigt sich mit dem Thema Archiv. Ähnlich eindrucksvoll wie die Rüttelplatte bietet Nilla Banguna mit der Arbeit „Wankito (umwanakaji)“ (Die starke Frau) einen Einblick in die Thematik „Weitergabe von Wissen“. Zu der im Konzept der Ausstellung stark gemachten Idee von „Transmission durch Transformation“ wird hier ein Lösungsansatz vorgestellt. Die von Frauen auf Lehmhäusern angebrachten figurativen Zeichen, die an Tapetenmuster erinnern, werden normalerweise in der Regenzeit abgewaschen und dann wieder erneuert. Auf Stoffe gedruckt erreicht Banguna in einem kooperativen Prozess, den sie im Verbund mit dem Kulturzentrum Picha, das Träger der oben genannten Biennale ist, und Dorffrauen entwickelt hat, eine nachhaltige, ephemere, kulturelle Praktiken bewahrende Umsetzung. Sie schafft damit eine Art Archiv, das frei im Ausstellungsraum hängt. Und dies ist ein Thema, das diese Schau ebenfalls wie ein roter Faden durchzieht. Viele Archivalien afrikanischer Länder sind von kolonialen Spuren überlagert, wenn sie nicht ohnehin zerstört oder wie die Benin-Güsse in alle Winde verstreut sind. Isaac Sahani Dato arbeitet mit Karten aus der Kolonialzeit, die zum Teil von Feuer beschädigt waren, und zeigt die Benennung und Umbenennung von Orten auf. Neue Namen gingen mit Grenzverschiebungen einher, Aneignungen, die auch später mit international operierenden Großfirmen fortgesetzt wurden.

Balojis mehrteilige Arbeit „Kasala: The Slaughterhouse of Dreams or The First Human, Bende’s Error in Boycotting the Creation“, hat nicht nur einen langen Titel, sie ist komplex. Aber auch wenn man nicht die Informationen im begleitenden Booklet konsultiert hat, erkennt man die Richtung: Ein Jagdhorn, wie es auf einem kleinen Foto zwischen Jagdtrophäen aus Afrika über einer fröhlichen Kolonialistenrunde hängt, transferiert Baloji unter eine Acrylglashaube, skarifiziert es mit Narbenmustern, eignet es sich also an, stellt es aus, holt es aus seinem ursprünglichen Kontext, wie wir es von der Präsentation afrikanischer Skulptur in ethnologischen Sammlungen gewohnt sind. Ausschnitte aus dem bekannten Film „Les statues meurent aussi“ von Alain Resnais, Chris Marker, Ghislain Cloquet aus dem Jahre 1953, verbindet Baloji mit einer Eröffnungsperformance zu einer Kongo-Ausstellung im Rietberg Museum Zürich (2019). Er hatte den Schriftsteller Fiston Mwanza Mujila eingeladen, ein Kasala, ein traditionelles Preisgedicht der Luba, zu verfassen. Das Kasala stand auch im Zentrum eines Workshop Balojis an der Kunsthochschule Sint Lucas, Antwerpen, an dem die gebürtige Österreicherin Julia Tröscher teilnahm. Sie transferiert diese Tradition in einen neuen Kontext und verbindet sie mit surrealen Motiven, darunter ein Fischmensch, mit dem Wasser und feministisch zu lesenden Handlungen. Eine Bank davor, wie sie am Mainzer Ufer des Rheins stehen könnte und mit surrealistischem, sich auf Inhalte des Films beziehenden Dekor versehen ist, lässt in dieses in visuelle Poesie umgesetzte Kasala eintauchen.

Installationsansicht Kunsthalle Mainz: Unextractable: Sammy Baloji invites, 2023. Sammy Baloji, Kasala: The Slaughterhouse of Dreams or The First Human, Bende’s Error in Boycotting the Creation, 2019, Mischtechnik, Installation, Größe variabel. Mit freund | © Foto: Norbert Miguletz

Die Schau wird belebt durch kollaborative Formate wie das Straßen- und Marionettentheater in dem halb dokumentarischen, halb fiktiven Film von Jackson Bukasa, Dan Kayeye und Justice Kasongo und das gemeinsame Filmprojekt von Fundi Mwamba Gustave und Antje Van Wichelen über Dr. Fundi, fiktives Alter Ego des Filmemachers, der auf der Suche nach einem Heilmittel gegen die „Monstrifikation“ ist, eine rein fiktive, durch Umweltverschmutzung ausgelöst Krankheit. Das Filmsetting mit Dr. Fundis Arbeitsplatz ist begehbar, es laufen Filme eines „Vorgängers“, Dr. Mayeye, und die toxischen Stoffe aus einem Bergbaugebiet wirken auf Filmmaterial ein. Toxisch sind auch die in die Museen eingegangen Objekte aus afrikanisch-kulturellen Kontexten, denn durch chemische Behandlung sollen sie „das Leben fern halten“ und die Objekte erhalten. Sybil Coovi Handemagnon präsentiert dazu ihre Installation aus Bild, Regal und Objektschachteln als Forschungsplatz. Besucher können sich die ausliegenden Handschuhe überstreifen und auf Entdeckung gehen.

Wie können postkoloniale Inhalte über Kunst transportiert werden? Das demonstriert auf überzeugende Weise diese Ausstellung, die sicher zu den besten des Jahres 2023 gehört. Der White Cube sei keine neutrale Zone, es sei eine politische, und es sei wichtig, solche Geschichten aufzudecken, sagte Sammy Baloji in einem Interview. Das eingangs beschriebene Kupferkreuz ist nur eine koloniale Spur in Mainz. Verdienstvoll ist daher auch das Beiprogramm der Kunsthalle, das sich in geführten Gängen durch Mainz den Spuren des Kolonialismus zuwendet.

Letzte Änderung: 12.01.2024  |  Erstellt am: 12.01.2024

Unextractable: Sammy Baloji invites

Dauer der Ausstellung:
27.10.2023 – 11.02.2024

Mit:
Sammy Baloji, Nilla Banguna, Jackson Bukasa & Dan Kayeye & Justice Kasongo, Sybil Coovi Handemagnon, Fundi Mwamba Gustave & Antje Van Wichelen, Franck Moka, Hadassa Ngamba, Isaac Sahani Dato, Georges Senga, Julia Tröscher

Kunsthalle Mainz
Am Zollhafen 3–5
55118 Mainz

www.kunsthalle-mainz.de

divider

Kommentare

Es wurde noch kein Kommentar eingetragen.

Kommentar eintragen